Entstehung der Gezeiten

Wie der Mond die Ozeane massiert – und die Erde dabei müde macht!
Schematische Darstellung von Erde, Mond und Sonne im Weltraum; zwei Wasser-Auswölbungen an der Erde zeigen die Flutberge, Pfeile vom Mond und zwischen Mond und Sonne veranschaulichen die Anziehungskräfte, die die Gezeiten erzeugen.

Gezeiten sind regelmäßige Veränderungen des Meeresspiegels. Man beobachtet abwechselnd Ebbe (niedriger Wasserstand) und Flut (hoher Wasserstand). An den meisten Küsten treten innerhalb von etwa 24 Stunden und 50 Minuten zwei Flut- und zwei Ebbphasen auf. Hauptursache sind die Gravitationskräfte von Mond und Sonne sowie die gemeinsame Bewegung von Erde und Mond.

Grundprinzip: Unterschiede der Anziehungskraft

Jede Masse zieht jede andere an – auch Mond und Erde. Für die Gezeiten ist jedoch nicht die absolute Stärke der Anziehungskraft entscheidend, sondern wie sehr sie sich an verschiedenen Orten unterscheidet. Punkte auf der mondnahen Seite liegen etwas näher am Mond und werden daher stärker angezogen als der Erdmittelpunkt. Auf der mondfernen Seite ist die Anziehung etwas schwächer. Diese kleinen Unterschiede bilden die Gezeitenkraft. Weil Wasser beweglich ist, reagiert es stärker als der feste Erdboden – deshalb zeigt sich der Effekt vor allem in den Ozeanen.

Die Gezeiten entstehen also nicht durch einen direkten Zug am Wasser, sondern durch minimale Unterschiede der Anziehungskraft, die sich über große Distanzen summieren.

Zwei Flutberge

Durch die Gezeitenkraft bilden sich zwei Flutberge:

  1. Auf der dem Mond zugewandten Seite zieht die Mondanziehung das Wasser geringfügig stärker nach außen.
  2. Auf der abgewandten Seite wirkt die Mondanziehung schwächer. Gleichzeitig bewegt sich das Erde-Mond-System um einen gemeinsamen Schwerpunkt. Dadurch entsteht eine Zentrifugalkraft, die überall gleich wirkt. Auf der mondfernen Seite überwiegt sie leicht – daraus entsteht ein zweiter Flutberg, der vom Mond weg zeigt.

Die Erde dreht sich in etwa 24 Stunden einmal um ihre Achse. Währenddessen bewegt sich der Mond weiter auf seiner Umlaufbahn. Die Flutberge sind daher keine festen Punkte, sondern wandern mit der Mondrichtung um die Erde. Da die Erdrotation schneller ist als die Bewegung des Mondes, ziehen die Küsten unter diesen beweglichen Flutbergen hindurch. Dadurch entsteht die typische Abfolge: Flut, fallender Wasserstand, Ebbe, steigender Wasserstand, erneute Flut.

Einfluss der Sonne

Auch die Sonne beeinflusst die Gezeiten. Sie ist massereicher als der Mond, aber weiter entfernt. Ihre Wirkung ist etwa halb so stark.

Es gibt zwei besondere Fälle:

  1. Springtide (Springflut): Sonne, Mond und Erde stehen auf einer Linie (Neumond oder Vollmond). Die Kräfte addieren sich – der Tidenhub wird größer.
  2. Nipptide: Bei Halbmond stehen Sonne und Mond im rechten Winkel. Ihre Kräfte wirken teilweise gegeneinander – der Tidenhub wird kleiner.

Warum die Gezeiten nicht überall gleich stark sind

Die Höhe des Wasserstands hängt stark von der Form der Meeresbecken ab. Trichterförmige Küsten, Engstellen oder flache Schelfmeere können den Flutberg verstärken. Resonanzen spielen ebenfalls eine Rolle: Passt die natürliche Schwingungszeit eines Meeresbereichs zur Tidenperiode, kann sich der Tidenhub stark erhöhen.

Warum wir den Mond nicht spüren

Auch der menschliche Körper wird vom Mond angezogen – aber der Effekt ist zu klein, um wahrgenommen zu werden. Die Erdanziehung ist um viele Größenordnungen stärker, und der Abstand zwischen Kopf und Füßen ist im Vergleich zur Mondentfernung zu gering, um einen messbaren Unterschied hervorzurufen. In den Ozeanen hingegen wirken die Differenzen über tausende Kilometer – so werden sie sichtbar.

Gezeitenkräfte auf die feste Erde

Auch die Erdkruste bewegt sich leicht. Sie hebt und senkt sich um einige Dezimeter. Das Gestein ist langfristig elastisch genug, um diese Verformungen aufzunehmen. Die Kräfte sind zu schwach, um tektonische Vorgänge oder Risse auszulösen.

Seitliche Strömungen im Wasser

Die Gezeitenkraft wirkt nicht nur senkrecht, sondern auch seitlich. Sie schiebt Wasser entlang der Erdoberfläche in Richtung der Flutberge. Der tatsächliche Verlauf wird beeinflusst durch Erdrotation (Corioliskräfte), Reibung am Meeresboden und die Form der Küsten. Deshalb unterscheiden sich Gezeiten von Ort zu Ort deutlich.

Langfristige Wirkung auf Erde und Mond

Beim Auf- und Abströmen über den Meeresboden entsteht Reibung. Diese Reibung bremst die Erdrotation minimal ab. Ein Tag verlängert sich durchschnittlich um weniger als zwei Tausendstel Sekunden pro Jahrhundert. Ein Teil der Energie wird auf den Mond übertragen – er entfernt sich jährlich um rund 3,8 Zentimeter von der Erde. Beide Effekte laufen ständig und sind messbar.

Zusammenfassung

  1. Gezeiten entstehen durch Unterschiede der Gravitationswirkung von Mond und Sonne an verschiedenen Punkten der Erde.
  2. Dadurch bilden sich zwei Flutberge – einer dem Mond zugewandt, einer davon abgewandt.
  3. Die Erdrotation führt dazu, dass Küsten etwa zweimal Ebbe und zweimal Flut pro Mondtag erleben.
  4. Die Sonne verstärkt oder schwächt diesen Effekt und verursacht Spring- und Nipptiden.
  5. Form und Tiefe der Meeresbecken beeinflussen die Stärke des Tidenhubs.
  6. Auf den menschlichen Körper wirkt die Gezeitenkraft ebenfalls, ist aber nicht wahrnehmbar.
  7. Über lange Zeiträume verlangsamt sie die Erdrotation und vergrößert langsam den Abstand zum Mond.