1.2 Der Mentor
Alexandra Kern war seit fünf Jahren in der Abteilung – in dieser Zeit hatte sie sich zur hochspezialisierten Einsatzkraft entwickelt. Man hatte sie von der Bundeswehr abgeworben: Als junge Scharfschützin in einer Jägerkompanie war sie aufgefallen – äußerst diszipliniert, mit hoher Auffassungsgabe und bemerkenswerter Einsatzbereitschaft.
Sie ging die endlosen Flure entlang; ihre Schritte hallten gedämpft, dann blieb sie vor der Tür ihres Ausbilders und Mentors Herbert Grimmer stehen. Sie klopfte an.
„Kommen Sie schon rein, Alexandra!“ Seine Stimme klang gereizt. Alexandra betrat das Büro.
Herbert Grimmers Büro war zugleich schlicht und repräsentativ. Der große, polierte Schreibtisch spiegelte den Lichtkegel der Lampe. Auf dem Tisch lagen verteilt Akten und Dossiers, die jedem Besucher signalisierten, dass hier gearbeitet wurde. Vor dem Schreibtisch standen zwei Stühle mit dunklem Stoffbezug, die eine gedämpfte Gesprächsatmosphäre schufen.
Grimmer saß dahinter auf einem einfachen Schreibtischstuhl. Sechzig Jahre alt, kräftig gebaut, mit dichtem, kurz geschnittenem weißem Haar. Die Krawatte gelockert, das Jackett sorgfältig über die Lehne gehängt, die Hemdsärmel hochgekrempelt – ein Mann, halb Bürokrat, halb Handwerker. Die Schultern hingen nach vorn; seine linke Hand strich fahrig über das Gesicht, das zwischen Ärger und Frustration erstarrt war.
Er blickte kurz auf und knurrte leise: „Setzen Sie sich, Alexandra.“
Er goss eine Tasse Kaffee ein und schob sie ihr hin. Der Kaffee roch kräftig, mit deutlichen Röstnoten. Alexandra nahm die Tasse an – Kaffee lehnte sie nie ab, solange er ihren Fairtrade- und Bio-Ansprüchen entsprach. Ihr Blick galt jedoch nicht der Tasse, sondern Grimmers angespanntem Gesicht.