Kapitel 1 – Operation ohne Mandat

1.3 Handbuch des Hasses

„Die Arschlöcher haben die Tulpenzwiebel entführt“, stieß Grimmer tonlos hervor.
„Arjen van Houten? Von wem?“ fragte Alexandra ungläubig.

Grimmer legte einen schmalen Hefter auf den Tisch und drehte ihn so, dass Alexandra die Schlagzeile auf dem Deckblatt sehen konnte.
„Bündnis Deutscher Widerstand“, warf er hin. „Oder kurz: BDW.“

Grimmer schob die Akte von sich, als wäre sie ihm zuwider.
„Alles fing klein an – Schützenvereine, Kameradschaften. Vor acht Jahren noch Bierzelte und Stammtische, heute Bombenfantasien. Ihr Leitmotiv: Wiedererrichtung des Deutschen Reiches.“

Er verzog angewidert das Gesicht. „Keine Reformen. Kein Programm. Sie wollen den Staat Stein für Stein abreißen. Reichsflaggen, antisemitische Parolen, Drohungen gegen Politiker. Medien, Migranten, Justiz – alles Feindbilder. Einmal quer durchs Handbuch des Hasses.“

Der Kaffeeduft hing im Raum. Die Lampe brannte grell über dem Schreibtisch und schnitt Schatten in die Falten von Grimmers Gesicht. Alexandra legte die Hände ineinander; ihr Blick blieb auf ihn geheftet.

„Na ja, das Übliche eben. Wie viele sind es?“ fragte Alexandra.

Grimmer schob ihr ein Foto zu. Männer auf einer Schießbahn, das Lächeln breit, die Waffen locker in den Händen, einer mit erhobener Faust. Im Hintergrund hingen Zielscheiben an Schienen, dahinter der massive Kugelfang aus dunklen Stahlplatten. Über der Bahn brannte grelles Neonlicht, das die Gesichter hart ausleuchtete und den Betonboden kalt glänzen ließ.

„Sechzig bis achtzig Köpfe, quer über Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen verstreut. Der harte Kern: ein halbes Dutzend, zwei davon Ex-Soldaten. Darunter lose Zellen – verschlüsselte Chats, Treffen auf Schießständen, abgelegene Grundstücke.“

„Also eine klassische Konspiration – so alt wie der Terror selbst“, bemerkte Alexandra.

Grimmer nickte und blätterte weiter; das Rascheln der Seiten war kurz und trocken. Mit dem Finger tippte er auf eine markierte Passage.
„Sie haben Waffen – Pistolen, halbautomatische Gewehre, Munitionsdepots. Versuche, Sprengstoff zu beschaffen. Sie tarnen sich in Schießsportvereinen. Kurz: Sie bereiten sich vor.“

„Konkrete Pläne?“ fragte Alexandra knapp und legte die Hände auf die Lehne ihres Stuhls.

„Mehr als genug.“ Grimmer sah sie an, der Blick kühl und fest. „Sabotage von Stromnetzen, Anschläge auf Unterkünfte, Drohungen gegen Politiker. Zwei Vorhaben wurden vom BKA gestoppt – das war vor drei und vor zwei Jahren. Aber die Gruppe ist weiter aktiv, rekrutiert online, zieht neue Idioten an. Die Gefahr ist real. Einschätzung der Behörden: terroristische Vereinigung, § 129a. Und das Risiko, dass einer von denen allein losschlägt, liegt verdammt hoch.“

Mit einem dumpfen Knall ließ er den Hefter zuschnappen.

„Die Gruppe selbst ist für uns nur sekundär von Bedeutung – um die kümmert sich das BKA. Bisher reden wir über Kleinkaliber, Pistolen, ein paar halbautomatische Gewehre. Nichts, was die Polizei nicht auch jeden Tag in der Hand hat.“ Er machte eine kurze Pause, strich mit dem Daumen über die Papierkante. „Aber das BDW versucht seit einiger Zeit, schwere Waffen aufzutreiben – alles, was Feuerkraft und Wirkung deutlich über das bisherige Niveau hebt.“

Grimmer schob den Hefter beiseite. Der Kartonumschlag schabte leise über die Tischfläche. Sein Blick blieb auf Alexandra gerichtet.
„Warum haben die Arjen van Houten entführt, wozu brauchen sie ihn?“ fragte sie und neigte sich leicht nach vorn, die Stimme knapp, der Ausdruck wachsam.

Er lehnte sich zurück; die Lehne seines Stuhls knarrte, während er die Hände ineinander verschränkte.
„Die Antwort ist simpel: Sie brauchen Fachwissen. Ihre Leute können Waffen bedienen, aber nicht instand halten – schon gar nicht, wenn es um Sturmgewehre, Maschinengewehre oder Panzerabwehrwaffen geht. Van Houten ist ausgebildeter Waffenmeister. Er weiß, wie man Systeme zerlegt, repariert, modifiziert – und vor allem, wie man aus Einzelteilen einsatzfähige Waffen macht.“

Alexandra strich sich nachdenklich über das Haar oberhalb des rechten Ohrs.
„Es geht also nicht nur um die Beschaffung, sondern auch um die Einsatzfähigkeit. Aber warum haben sie ihn dann entführt? Solche Waffen besitzen sie doch noch nicht.“

Er presste die Lippen zusammen, und die Falten zwischen den Brauen vertieften sich.
„Ihrer Miene nach zu urteilen, ist das noch nicht alles an schlechten Neuigkeiten.“, stellte Alexandra fest.